Oder handelt es sich in Teilen eher um eine verzerrte Wahrnehmung – getrieben von sich verändernden Anforderungen und Erwartungen?
Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Die Lage ist komplex. Denn während die Bewerberzahlen in einigen Bereichen sinken, ist die Attraktivität der Pharmaindustrie in anderen Berufsbildern nach wie vor hoch. Entscheidend ist, wie differenziert man das Thema betrachtet. Darum beleuchten wir in diesem Beitrag die Situation entlang der wichtigsten Funktionen, regionaler Unterschiede und branchenspezifischer Dynamiken.
Nicht alle Rollen sind gleich betroffen
Der erste Trugschluss beginnt bereits beim Begriff „Fachkräftemangel“ selbst. Denn dieser suggeriert eine generelle Knappheit an Talenten – unabhängig vom konkreten Jobprofil. Ein Blick auf die verschiedenen Funktionsbereiche in der Pharmaindustrie zeigt jedoch ein sehr heterogenes Bild:
- Sales (Außendienst): Hier war der Mangel in den letzten Jahren besonders spürbar. Gründe dafür sind unter anderem die konstant hohen Einstiegshürden durch den gesetzlichen Pharmareferentenstatus, gestiegene Anforderungen in der täglichen Arbeit, ein stärkerer Fokus auf inhaltliche Kompetenz und die Abwanderung vieler Kandidat:innen in andere Fachbereiche innerhalb der Pharmaindustrie.
- Medical Affairs: Im Bereich der Medical Science Liaison (MSL) und Medical Affairs Manager (MAM) besteht großes Interesse von Bewerber:innen. Hier treten vor allem Naturwissenschaftler:innen, Pharmazeut:innen und auch immer mehr Mediziner:innen an, oft mit einem klaren Ziel: den Schritt aus der medizinischen Forschung in die Industrie zu machen. Doch die Kenntnis über die konkreten Berufsprofile ist leider überraschend gering. Es braucht mehr Aufklärung, um potenzielle Bewerber:innen für konkrete Berufsrollen wie MSL (Medical Science Liaison) zu interessieren. Gleichzeitig ist es wichtig zu vermitteln, dass diese Positionen hohe Anforderungen an wissenschaftliche Kommunikation und Stakeholder-Management stellen.
- Market Access: In diesem vergleichsweise kleinen, aber wachsenden Bereich sieht man sich mit einem besonders spezialisierten Bewerberbedarf konfrontiert: Neben Systemverständnis und juristisch-ökonomischem Know-how erfordert das Berufsbild vor allem strategisches Denken und hohe Kommunikationsstärke. Entsprechend klein ist die Zahl qualifizierter Kandidat:innen. Hier sprechen viele Personalverantwortliche eher von einem „Profilmangel“ als von einem „Fachkräftemangel“. Während ein Fachkräftemangel bedeutet, dass grundsätzlich zu wenige qualifizierte Personen verfügbar sind, beschreibt ein Profilmangel, dass es zwar Bewerber:innen gibt, deren Profile aber nicht genau zu den spezifischen Anforderungen passen.
Regionale Unterschiede und die Rolle der Pipeline
Ein weiterer zentraler Faktor ist der regionale Kontext. So ist etwa der Zugang zu Ärzt:innen im niedergelassenen Bereich in Österreich wesentlich offener als etwa in Deutschland – mit direktem Einfluss auf die Rolle und Attraktivität für den Job im Außendienst. Während viele deutsche Pharmafirmen über schwer planbare Arztkontakte klagen, erlebt der GP-Außendienst in Österreich eine Art Revival. Getragen wird das durch eine neue Wertschätzung der Allgemeinmedizin und eine Pipeline mit Produkten, die genau diesen Kanal wieder stärker in den Fokus rückt.
Diese „Pipeline-Effekte“ zeigen deutlich: Der Bedarf an Personal ist oft stark indikationsgetrieben. Sobald ein neues Produkt oder ein Franchisebereich ausgebaut wird, steigt kurzfristig und mit teils engen Timelines auch der Personalbedarf. Genau hier entsteht der Druck, der dann als „Fachkräftemangel“ wahrgenommen wird.

Pharma als Arbeitgeber: (Noch) attraktiv – aber nicht automatisch
Trotz aller Herausforderungen gilt: Die Pharmaindustrie steht im Vergleich zu vielen anderen Branchen nach wie vor gut da. Die Gehälter sind – auch bedingt durch Marktmechanismen – deutlich gestiegen, ebenso die Zusatzleistungen. Gleichzeitig hat die Branche während der Pandemie bewiesen, wie krisenresilient sie ist. Das schafft Vertrauen und zieht viele Bewerber:innen an, vor allem aus dem akademischen Bereich.
Die Kehrseite: Die Erwartungshaltung an Gehalt und Rahmenbedingungen seitens der Bewerber:innen ist massiv gestiegen – oftmals ohne dass die Kompetenzen im gleichen Maß mitwachsen. Auf der anderen Seite haben viele Unternehmen die Gehälter stark nach oben angepasst, um im Wettbewerb um Talente bestehen zu können. Das treibt den Marktpreis weiter in die Höhe, erzeugt Vergleichsdruck bei anderen Playern und führt zunehmend zu gehaltsgetriebener Fluktuation. Eine Entwicklung, die langfristig zu Verzerrungen führt und für viele Unternehmen schwer aufrechtzuerhalten ist.
Die Pharmareferentenprüfung – Schlüssel oder Stolperstein?
Eine Besonderheit in Österreich ist nach wie vor die gesetzlich vorgeschriebene Pharmareferentenprüfung. Während sie für viele Berufseinsteiger:innen den Eintritt in die Industrie markiert, berichten Recruiter:innen immer wieder von Unsicherheiten und Missverständnissen rund um die Anforderungen und Inhalte dieser Ausbildung. Gerade Quereinsteiger:innen oder internationale Bewerber:innen stoßen hier auf Hürden, die nicht unbedingt zeitgemäß wirken bzw. den Zeitpunkt für den Einstieg in die Pharmabranche deutlich verzögern.
Dennoch hat sich gezeigt: Wer sich auf den Job einlässt und bereit ist, inhaltlich zu liefern, hat auch künftig gute Chancen. Denn die Anforderungen an Außendienst und Medical haben sich verändert: Qualität schlägt Quantität – fundierte Gesprächsinhalte, wissenschaftliche Tiefe und echtes Kundenverständnis stehen noch mehr im Vordergrund.
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Fazit: Ein differenzierter Blick lohnt sich
Der vielzitierte Fachkräftemangel in der Pharma ist kein Mythos – aber er ist differenzierter zu betrachten, als es oft in Medien oder Politik dargestellt wird. Statt von einem pauschalen Engpass zu sprechen, lohnt sich ein differenzierter Blick auf Rollen, Regionen und Anforderungen. Und vor allem: auf die Kommunikation mit potenziellen Bewerber:innen. Denn gerade hier zeigt sich, wie viele Talente noch unentschlossen sind – nicht aus Desinteresse, sondern aus Unkenntnis.
Die Aufgabe für Unternehmen lautet daher: Klare Profile schaffen, frühzeitig Talente identifizieren und den Zugang zur Branche so gestalten, dass er verständlich, machbar und attraktiv bleibt. Denn am Ende zählt nicht nur, ob es Bewerber:innen gibt, sondern ob sie zur Aufgabe und zur Kultur im einzelnen Unternehmen passen.
